Er fliegt wieder...

Flugplatz EDLB Borkenberge bei Lüdinghausen im Münsterland am Mittwoch, dem 17. Juni 2020; früher mal war dieser Tag als Tag der Deutschen Einheit ein Feiertag. Mit meinem Fluglehrer habe ich mich für elf Uhr verabredet, um meine UL-Fluglizenz zu reaktivieren. Das letzte Mal Flugzeug geflogen bin ich irgendwann vor elf Jahren. Um den UL- Dreiachser-Flugschein zu erhalten muss man alle zwei Jahre zwölf Flugstunden nachweisen und einen einstündigen Übungsflug in Begleitung eines Fluglehrers auf einem aerodynamisch gesteuerten Ultraleichtflugzeug durchführen. Na, wenn ich nun elf Jahre nicht mehr Flugzeug geflogen bin, konnte ich auch all diese Bedingungen nicht erfüllen.

Der Fluglehrer war meine Rettung: „Wir schauen mal, was du noch kannst und fliegen ein wenig. Dann machst du noch einen Prüfungsflug und wenn du den bestehst, hast du den Flugschein wieder.“ Und so starteten wir kurz nach elf Uhr mit einer C42. Meine ersten UL-Flugzeugversuche 18 Jahre früher waren auch mit einer C42, es ist mir immer noch ein sehr vertrautes Fluggerät.

Das Wetter war durchmischt, die Sicht nicht gut. Die Wolken gingen partiell wie Blumenkohlröschen hoch, es herrschte bei warmem Wetter eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit: Gewitter war möglich.

In fast drei Stunden machten wir 16 Starts und Landungen, davon zwei simulierte Notlandungen. Und mit jeder Landung kam das Flugzeuggefühl wieder mehr zurück.


Auf Strecke gingen wir natürlich auch, das Flugplatzgebiet muss verlassen werden. Auf dem nebenstehenden Bild ist die St.-Dionysius-Kirche im Lüdinghausener Ortsteil Seppenrade zu sehen. Eine schöne Kirche, zu der ich gleich einen Bezug herstellen konnte: Meine Abschlussarbeit am Kölner Erzbischöflichen Diakoneninstitut hatte den Titel: „Similitudo in Dissimilitudine / Die Möglichkeit der Rede von Gott“ und befasste sich am Beispiel der Schriften des Dionysius Areopagita mit positiver und negativer Theologie, mit Analogie, Übersteigung, Mystik und Gotteserkenntnis. Eigentlich ist dann klar, dass ich diese Kirche mögen muss.

Ich habe mich entschieden, wieder mit dem Fliegen anzufangen. Warum eigentlich? Und warum jetzt wieder das Flugzeug und nicht der Motor- oder der Gleitschirm? Und darf der geweihte Diakon eigentlich fliegen? Hat man als Familienvater, normaler Arbeiter und Diakon überhaupt noch Zeit für so ein zeitfressendes Hobby? Würde es das Fahrradfahren nicht auch tun? Und wie soll die Familie mit so einer Entscheidung des Vaters und Ehemannes umgehen? Ganz viele Fragen hatte ich in den letzten Wochen und Monaten gestellt und nach Antworten gesucht. Dabei hat mir meine Frau Astrid sehr geholfen.

Vor 20 Jahren habe ich mit dem Fliegen angefangen und es als ein faszinierendes Hobby kennen gelernt: Sobald ich am Startplatz stand, war mein Kopf leer. Allen Stress des Alltags konnte ich ausblenden und mich nur noch auf das Fliegen konzentrieren. Das Fliegen ist für mich ein ganz wertvoller Ausgleich. Und auch meine Luftbilder machen mir immer wieder viel Freude. Seit drei Jahren bin ich nicht mehr geflogen. Das hat mir gefehlt. Meine Knieprobleme machten das Gleit- und Motorschirmfliegen zu schmerzhaften Ereignissen. In mindestens zwei Flugberichten, so im Bericht „Dorsten“ und „Letzter Flug?“ habe ich von diesen Knieproblemen berichtet. Das Fliegen mit dem Schirm ist also wegen des schweren Startens nicht mehr so gut möglich. Da bleibt dann das Flugzeug als eine Alternative übrig.

Wir flogen weiter in östlicher Richtung. Auf dem Bild ist die Brücke der Lüdinghausener Seppenraderstraße über den Dortmund-Ems-Kanal zu sehen.

Aber nun nochmal zurück zu den obigen Fragen: Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten des Stressabbaus: Ich fahre seit über drei Jahren nun fast jeden Tag mit dem E-Fahrrad zur Arbeit, das sind jedesmal über 37 km. Das ist Stressabbau. Aber Fliegen ist doch noch etwas anderes, etwas schöneres.

Ohne die Zustimmung der Familie ist vieles nicht möglich. Bei wichtigen Entscheidungen muss man versuchen, alle ins Boot zu bekommen. Und das war bei der Frage des Wiederauflebenlassens der Fliegerei sehr leicht: Astrid kennt und liebt Flugplätze seit ihrer Kindheit, sie war ja früher öfter mit ihrem Vater zum Fliegen unterwegs. Und die Flugplätze und Flugzeuge hatten ihr auch schon gefehlt. Astrid war es auch, die mich immer wieder aufforderte, über den Wiederbeginn des Fliegens nachzudenken, weil sie es als einen ganz wichtigen Ausgleich für mich sieht. Esther und Sarah wollen nun selber Fliegen lernen und Johannes scheint mit dem Weseler Flugplatz, an dem wir uns nun öfter aufhalten wollen, auch sehr einverstanden zu sein. Und spätestens wenn wir mal nach einem guten Grillabend in einem Zelt neben der Startbahn oder unter dem Flügel eines Flugzeugs in einem leicht nach Benzin riechenden Hangar auf einer viel zu dünnen Isomatte übernachtet und alle Knochen wieder sortiert haben werden, wird Johannes begeistert sein. Die Familie unterstützt meinen Flugwunsch und macht mit.

Wir flogen weiter nach Lüdinghausen, im Bild die St.-Felizitas-Kirche. Es war ruhiges Wetter, ab und zu merkten wir Thermik Blasen, die uns anhoben. Auch in der C42 bekommt man die Thermik gut mit. Um durch Thermik unberührt durchzufliegen, ist auch die C42 zu leicht. Auf dem Flug ging es mit einem Mal für mehrere Sekunden mit drei Metern pro Sekunde nach oben, als wir im waagerechten Flug von solch einer Blase erwischt wurden. Natürlich hatten wir neben dem Luftraum auch die ganze Zeit das Wetter und die Wolkenbildung im Auge, noch zerfransten die Cumulonimben ganz schnell wieder, noch war keine Gewittergefahr.

Da bleibt nun nur noch die Frage übrig, über die ich auch am meisten nachgedacht habe: Darf ich als geweihter Diakon ein Flugzeug fliegen? Oder soll ich den evangelischen Räten frönen und in Armut, Keuschheit und Gehorsam leben? Kann man Fliegen und ein Flugzeug mit einem demütigen Leben vereinbaren und wie demütig hat der Diakon zu leben? Und was ist eigentlich das Problem: Das Flugzeug oder die Zeit, die es kosten wird?

Das Problem ist nicht das Fliegen, mit dem Gleitschirm bin ich nach meiner Weihe auch noch geflogen. Das Problem ist, dass ein Flugzeug von einem elitären Beigeschmack umgeben ist. Das stimmt auch sicher für die Flugzeuge, die eine gewisse Größe haben. Es kommt also darauf an, mit welchem Gerät geflogen wird. Und da, so denke ich, ist ein kleines Ultraleichtflugzeug und erst recht ein offenes 120kg Flugzeug, wie der Uli Rebell es ist und mit dem ich fliegen möchte, noch lange nicht im Bereich des Gefährlichen. Spätestens wenn man die verkleidende Folie abziehen und das Teil dann sehr ähnlich wie der Uli V2 NG aussehen würde, hätte jeder Einsehen dafür.

Das „Modehaus Lüdinghausen“ in der Konrad-Adenauer-Straße in Lüdinghausen fällt aus der Luft besonders auf.

Aber nochmal zurück zur Fragestellung. Ich bin nach einigen Gesprächen zu dem Schluß gekommen, dass auch der Diakon fliegen darf. Weil das Arbeitsleben anstrengend ist, weil das Wirken in der Kirche sehr viel Kraft kostet, weil ich auch irgendwo diese Kraft tanken muss. Im Glauben und im Fliegen. Die letzten Zweifel hat mir mein Priesterfreund Hans-Ulrich genommen, der, selber gerade den schwarzen Gürtel in Taekwondo gemacht, mir sehr zu einer Ausgleichsaktivität geraten hat. Etwas, womit man den Kopf so richtig frei bekommt.

Wir, meine Familie und ich, werden nun also auch wieder Zeit am Flugplatz verbringen. Ich freue mich darauf. Auf das eigene Fliegen, auf das Fliegen der Mädchen, auf die zufriedene Ehefrau und den Sohn, die Zeit am Auesee verbringen und dort ihrer Wasserleidenschaft nachgehen wollen. Und ich freue mich auf das Landebier mit der ganzen Familie am Abend eines Flugtages.

Am 17. Juni hatte ich am Nachmittag den Prüfungsflug bestanden und mein Fluglehrer und -prüfer gratulierte mir. Es war ein sehr schöner und flugintensiver Tag.